Nun widmete ich mich dem kompliziertesten Teil des Kostüms, zumindest was die Konstruktion angeht: dem Bodice. Auch hierfür verwendete ich ein Schnittmuster von Truly Victorian TV 244, das ich bereits in meinem Belle Kleid genutzt hatte. Ich wusste noch, dass es mir ein wenig zu groß in der Taille war und mir die Art der Bertha mit dem steifen Organza nicht gefallen hatte, also wollte ich das ändern. Trotzdem schnitt ich erstmal das mir bekannte Schnittmuster aus 3 Lagen Stoff aus, je doppelt aus meinem Fashion-Fabric Satin, sehr stabiler Baumwolle als Futterstoff und einer dünnen Baumwolle als Lining.

Wie auch schon der Rock mussten beine Oberteil-Stoffe mit hübschen, schwarzen Mustern versehen werden. Da hier die Fläche wesentlich geringer war, konnte ich filigranere Motive wählen, ohne gleich zehn Stunden damit zu verbringen. Jedoch konnte ich zunächst nur die Seiten und die Rückenteile bemalen, da die Fronten keine allzu sichtbaren Abnäher haben sollten. Es wurden nun also alle Satin-Schnittteile auf ihre korrespondierenden dicken Baumwoll-Partner genäht mithilfe von ganz normalen Geradstichen entlang des Randes, die sich noch innerhalb der Nahtzugabe befanden. Idealerweise hätte ich diesen Schritt per Hand gemacht, um gleichzeitig die Komponenten in leichter Rundung zu halten, die sowohl die Körperrundung selbst als auch die spätere Naht und das Offenbügeln repräsentieren würde. Dieser Schritt kann helfen, den Stoff später nicht außen zu spannen oder innen Falten werfen zu lassen. Doch ich entschied mich dagegen, weil ich a) sowieso schon super viel Zeit in dieses Projekt steckte und nicht mehr als nötig in diesen Schritt investieren wollte, aber auch b) weil mein Satin ein wenig Stretch hatte und ich mir daher einen Vorteil erhoffte. Ich konnte bisher nichts entdecken, das mich diese Entscheidung bereuen ließ.

Jetzt standen die zwei Abnäher der Frontteile an, für die ich zunächst knapp innerhalb der angezeichneten Abnäher entlangnähte, um die beiden Stoffschichten noch einmal aneinander zu fixieren. Dann faltete ich den Stoff an der entsprechenden Stelle und nähte von der Unterkante des Oberteils an in Richtung Spitze, wobei ich diese nicht verriegelte, sondern die Fadenenden per Hand verknotete. Nun die Abnäher aufschneiden, noch einmal gut bügeln und dann waren auch diese letzten Schnittteile bereit, bemalt zu werden.

Nun, wo alle Komponenten für sich genommen fertig waren, konnte ich sie endlich zusammennähen. Dabei orientierte ich mich an den vorher übertragenen Markierungen und nähte alles rechts auf rechts zusammen. Die mittlere Rückennaht blieb dabei offen, da hier eine Schnürung eingefügt wurde. Bevor ich weiter verfahren konnte, probierte ich das ganze noch einige Male an und änderte hier und da ein paar Kleinigkeiten. ACHTUNG: ich habe das Oberteil immer nur auf nackter Haut oder über einer Korsage getragen, nicht aber über dem gigantischen Rock… Was dazu führte, dass es mir so zwar gut passte, aber nicht genug Platz hatte, um sich über dem Rock noch schließen zu lassen. Da klafft es nun leider sehr weit auf und wirkt eher wie zwei Schmetterlingsflügel als eine zarte Spitze. Vielleicht ringe ich mich irgendwann dazu durch, das ganze einfach abzuschneiden und auch am Rücken gerade laufen zu lassen, aber ich sträube mich etwas dagegen, das fertige Stück noch so drastisch zu verändern.

Wovon ich leider keine Bilder gemacht habe sind die kleinen, süßen Puffärmelchen. Um den Unterrock nicht komplett isoliert dastehen zu lassen, wollte ich den gestreiften Stoff noch einmal ins Oberteil integrieren. Deswegen schnitt ich den Außenstoff des Ärmelchens aus eben diesem Stoff aus, das Futter aus der gleichen schlichten Baumwolle wie das Futter des restlichen Oberteils. Das Schnittmuster hierfür ist ebenfalls im TV 244 enthalten und das größere Teil wird gerafft, um auf den kleineren zu passen. Wenn die unteren Kanten aufeinander genäht waren, steppte ich die Nahtzugabe auf das Futter fest, damit diese nicht aus Versehen sichtbar wurde, und nähte die Oberkante links auf links zusammen, um diese im nächsten Schritt an die doppelte Außenlage des Oberteils anzubringen.

Wichtig für einen derartigen Bodice ist außerdem das Boning. Dabei habe ich für die runden Kanten Spiral Steel Boning mit den dazugehörigen Kappen genutzt, die geraden Kanten bekamen Plastik-Stäbchen. Überall, wo ich Boning einführen wollte, nähte ich per Hand Bänder auf, die in der Breite der des Bonings entsprachen. Die Stiche blieben dabei auf der Außenseite unsichtbar. Nur die hintere Rückennaht, die auch verstärkt werden musste, bekam ihren Boning Chanel von außen sichtbar abgesteppt durch alle Schichten hindurch. Dadurch war auch besonders viel Stoff in der Naht, sodass sie hoffentlich sehr stabil wurde.

Nachdem alles nötige von innen erledigt war, konnte ich das Futter rechts auf rechts annähen, entlang der beiden Hinterkanten und der Unterkante. Dabei glich ich die etwas unförmige Kurve an der vorderen Unterkante aus, schnitt alle Rundungen bis kurz vor der Naht ein und wendete das ganze. Die Oberkante und die Armlöcher versäuberte ich per Hand, indem ich zuerst bis zur geschätzten Naht den Stoff einschnitt und bei den Ärmeln sogar ein wenig Stoff aus der Nahtzugabe zu entfernen versuchte. Dann faltete ich die beiden Lagen jeweils hin zur linken Seite, fixierte Futter- und Außenstoff mit vielen Stecknadeln und Stoffklammern aneinander und nähte alles mit kleinen, von außen unsichtbaren Stichen aneinander. Mit der Oberkante hatte ich am längsten gewartet, da ich mir hier bis zum Schluss unsicher war, ob ich eine Bertha – also eine Art rüschige Verzierung entlang dieser Kante – haben wollte oder nicht. Schließlich, nachdem mir einfach keine gute Lösung einfiel, entschied ich mich dafür, sie einfach komplett bleiben zu lassen und die Kante somit schlicht und simpel zu versäubern. Das restliche Kleid ist wohl schon auffällig genug! Ach ja, natürlich durfte ich auch die Ösen für die Schnürung nicht vergessen. Dafür stanzte ich mit meiner Vario-Zange Löcher und mit derselben presste ich die mittelgroßen, goldenen Ösen an Ort und Stelle fest. Jetzt konnte ich das ganze mit einem Satin-Band und Kreuzschnürung schließen.

Dann kam der coolste Part: alle gemalten schwarzen Verzierungen wurden mit Kristallen verziert. Dazu hatte ich im Vorfeld schon Kristalle in etwa den Farben der Satinstoffe gekauft, die in einem Päckchen mit gemischten Größen kamen. Dazu noch etliche kleine schwarze, eine große Flasche Kleber und ein Applikator-Stift mit einem Wachs-Ende, mit dem man die Kristalle gut hochheben und an der gewünschten Stelle platzieren konnte. Der Prozess selbst war sehr simpel: ein Blob Kleber auf ein Stück Karton, die benötigten Kristalle auf eine Untertasse und dann tupfte ich mit einer Stecknadel kleine Kleber-Pünktchen auf den Stoff. Für die richtige Menge, Geschwindigkeit etc. musste ich erst eine gute Lösung finden, doch irgendwann kam ich in einen guten Flow. Meiner Meinung nach hebt die funkelnde Deko das Kleid von einem interessanten Kleid mit Flouffe an zu einem echten Ballkleid. Theoretisch soll auch der Rock und vor allem die Schleifen diesem Prozess unterzogen werden, aber bei einer derart großen Fläche muss ich in der Dichte der Verzierung definitiv Abstriche machen!

Und damit ist mein Ballkleid auch “schon” fertig! Für meinen Geschmack könnte es noch einiges mehr an Flouffe im Rock haben, doch ich weiß nicht, ob ich dafür noch mehr Petticoats nähen will. Vielleicht eine größere Krinoline als Basis? Naja, das sind alles Zukunftsträume, immerhin ist es wunderschön geworden, genau so wie es ist. Ich hoffe, meine etwas detailliertere Beschreibung des Herstellungsprozesses hat geholfen, ein so erschreckend großes Projekt in seine Einzelteile herunterzubrechen. Wenn noch Fragen offen sind, beantworte ich sie gerne in den Kommentare! Bis dahin: “Just because I cannot see it, doesn’t mean I can’t believe it”
~Alina

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